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[Messung] Temperatur und Belastung von Keramikwiderständen - Infos zu PCB und Weichenbauteilen

Rund um's Ein-, Ver-, Ausmessen & Simulation von Lautsprechern, Systemen und Elektronik.

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#1

Beitrag von Jobsti »

Ich mache hieraus mal ein eigenes Thema, sonst geht's verloren.
Es ging darum, ob Widerstände Glühen können und wie nah man diese
neben weiteren Bauteilen platzieren kann.


Hier schnell die Daten anderer Bauteile einer Frequenzweiche:

Spulenträger: 95-110°C Schmelztemperatur wenn aus üblichem ABS
Spule Draht: 130-150°C Isolation des Drahtes (Vermutlich nimmt diese auch genau ab hier Schaden)
Kondensator: 60-150°C je nach Modell. Typisch 85° Elko, 120°C Folie (Arbeitstemperatur, darüber weicht die Kapazität ab, wann Defekte eintreten konnte ich nicht rausfinden)
FR2 PCB: Tg 90-125° / Td 200-250°C
FR4 PCB: Tg 140-250°C / Td 350°C
MPX Birke: Heute im selbsttest gemacht, zwischen 300-350° wird's dunkel. Sicherheitshalber sage ich mal Td 200°C
Kabelbinder aus PA: Nutzbar bis 120-145°C / 220°C Schmeltzeperatur.

Tg:
Glasübergangstemperatur, diese beschreibt in kurz, wann das Material anfängt "Gummiartig", bzw. weich zu werden.
(Weich werden heißt hier nicht, dass es wie Maoam wird, sondern messtechnisch nicht mehr die volle Härte aufweist)
Dies entspricht also der maximalen Betriebstemperatur einer Platine.**
Td:
Zersetzungstemperatur des Basismaterials. Erst ab (grob) der Td nimmt das Material Schäden, da sich die chemischen Verbindungen anfangen zu zersetzen


**
Wenn Tg überschritten wird, dann dehnt sich das Material leicht in der Z-Achse aus und verliert seine mechanischen Eigenschaften,
klaro, es wird weicher. Aber es gibt keine Haarrisse oder Defekte.
Bei solch einfachen Frequenzweiche ist es also kein Problem Tg zu überschreiten, bei einem Mainboard sähe das gleich anders aus.
Zudem haben wir auch nur punktuelle Temperaturbelastung, nicht das gesamte PCB! Für uns interessant ist also eher nur Td





Messung an 18 Ohm Intertechnik WAX20:

Wärmesensor unter den R (lag also press auf), seitlich an den R und auf den R oben drauf.
Jeweilig mittig positioniert, hier sind nachgemessen die heißesten Punkte. Nur 2-3 cm nach vorne/hinten verringert gleich um 10-20°C.
Dabei habe ich haargenau 20W DC per Labornetzteil draufgegeben.

Nach 10-15 Minuten ist die Max Temperatur erreicht.

• Oben: 240°C
• Seite: 234°C
• Unten 234°C (wenn wenig Füllung, dann auch 240°C)
• In 10mm Abstand zur heißesten Stelle: 78°C (oben drüber gemessen)

Somit auch kein Problem mit ABS Spulenträgern oder Kondensatoren wenn diese nah dran sind,
hier muss also schon extreme Überlast anliegen.

Das heißt, bei absolut voller Auslastung, allerdings mit DC, kommen wir knapp über den Wert aus dem Datenblatt.
Eine FR-4 nimmt hier noch keinen Schaden, bei einer FR2 kann's kritisch werden.

Schwarz wird hierbei noch garnix, hab den Widerstand erst auf einem Holzbrett gehabt, danach auf einer FR2,
rein optisch keine Schäden.

Den Widerstand habe ich kalt und bei 220°C nachgemessen,
zu meinem Erstaunen gab's nur eine Änderung von 0,02 Ohm.
Die PPM/K laut Datenblatt zählen somit wohl erst außerhalb des angegebenen Temperaturbereichs.

Jetzt zur Praxis:
Auf einer Frequenzweiche haben wir
- keine dauerhafte Belastung vom Widerstand
- Kein DC, sondern AC
- Keine lineare/konstante Belastung, da unser Verbraucher ne Impedanz hat.



Überlastmessungen:

Diese habe ich nur an der Oberseite und teilweise Unterseite durchgeführt, Unterseite aber etwas ungenauer.
Bevor die Leistung erhöht und Werte abgelesen wurden, habe ich jeweils ca 5 Minuten heizen lassen.

31,21W = 330 °C
36,05W = 384 °C <- Ab hier wird das Holz leicht dunkel
40,15W = 416 °C / 363 °C Unterseite <- Holz raucht
45,00W = 446 °C / 400°C <- Genau hier war er tot, gerissen von links nach rechts.

Von Glühen keine Spur, das ist von den 650°, ab wann Keramik glüht, noch weit entfernt.
Belastung und Erwärmung sind also circa ähnlich, hieße für 650°C müssen hier grob 65-70W drauf.
Wir können den Widerstand also um 50% Überlasten, ohne dass eine FR-4 Platine Schaden nimmt.
Ein Defekt tritt erst oberhalb der doppelten Belastung ein.

R bei 445 Grad.jpg


Weitere Infos zu Widerständen:
Übliche Hochlastwiderstände sind für einen Temperaturbereich (ab -30°C und bis) zwischen 200°C bis selten auch 350°C angegeben (dann oft aus z.B. Alu mit Kühlrippen), manche sogar nur 150°C.
Die IT und Mundorf 20W Keramikwiderstände sind angegeben mit 220°C und ±300 ppm/°C, in runder Bauweise teilweise sogar etwas mehr.
Die Mox wiederum nur 200°.
Dies entspricht der maximalen Einsatztemperatur, je höher die Temperatur, desto weniger ist der R belastbar.

Radiale Widerstände, also mit Abstand zum PCB können höher belastbar sein, kleiner ausfallen, PPM sieht anders aus, oder unterscheiden sich oftmals auch überhaupt nicht. Man sollte hier einfach in's jeweilige Datenblatt schauen.
Den großen Vorteil dieser radialen Widerstände, also mit Abstand zur Platine, sehe ich persönlich nicht in der, wie oft behauptet, besseren Kühlung,
oder um Hotspots zu vermeiden, sondern darin das PCB nicht zu beschädigen, falls man die Widerstände vollständig aus- oder sogar überlastet!
Weiterer Vorteil wäre, dass man größeren Abstand zu anderen Bauteilen halten, oder sogar über diese hinwegbauen kann (statt Brücken)


Schauen wir uns die Kennlinien an, sehen wir dass die volle Belastbarkeit vieler Keramik- und Moxwiderstände bis grob 75°C Betriebs- bzw. Umgebungstemperatur reicht,
darüber nimmt die Belastbarkeit ab. Wird der WAX25 z.B. bei 202°C eingesetzt, hat er nur noch eine Belastbarkeit von 2,5 Watt statt 25W.
Derating nennt man die Geschichte.
Bei 220° entspricht die Belastbarkeit dann 0W.



Praxisbeispiel:
Spannungsteiler aus Rs und Rp, als auch einem RL (R in Reihe zur Spule)
Im Normalbetrieb (PN 6dB Crest) bei 500W rms sehen die Widerstände in einem bestimmten Frequenzband maximal 9,2W Rp, 4,7W je Rs und 12,8W RL,
wobei RL hier einem wesentlich breiteren Frequenzbereich ausgesetzt ist, also noch genug Headroom.

R-PN6.png


Die Endstufe war im absoluten Dauerclip (kein Blink Blink, sondern Dauerrot voll im Limit) über mehrere Stunden, dabei haben die Widerstände überlebt,
allerdings nicht die Kabelbinder auf RP und RL.
• Der einfache LPAD-Rechner mit DC an festen 7 Ohm spuckt aus: 28W Rp, 29,4W je Rs.
• Simulieren wir unseren Hochtöner samt LPAD, spuckt die Simu genau das gleiche aus, allerdings nur dort, wo die Impedanz genau 7 Ohm aufweist,
Rs wird ansonsten weniger belastet, Rp allerdings bis zu 51W bei Impedanzanstiegen.
• Simulieren wir's genau mit unseren Lautsprechern und HP: 69W Rp, 50W je Rs und 35W RL.
• Simulieren wir das Ganze praxisnah mit 1dB Crest und PN, ergeben sich folgende Belastungen: 29W Rp, 14,8W je Rs und 40,5W RL. Siehe folgendes Bild

R_PN1.png


Schauen wir nun auf die Temperatur- und Leistungsmessungen, wird Rp dabei gute 300°C gehabt haben und RL sogar über 400°C.
Die Widerstände haben überlebt, das PCB hat keinen Schaden genommen, nicht mal eine Verfärbung.
Jedoch hat der Überstand des Spulenträgers sich leicht verformt (macht nix) durch den 10mm entfernten 400°C RL und die Kabelbinder hat es natürlich ebenfalls gekostet.
Aus den Ergebnissen der Temperaturentwicklung, als auch ab wann R stirbt, sollte die praxisnahe Simulation ziemlich gut hinkommen.

weiche-defekt.jpg




Zusammenfassung:
Im üblichen Einsatz einer Frequenzweiche sollte es keinerlei Probleme geben, da wir die Widerstände idR. nicht mit ihren vollen 20W belasten und schon gar nicht mit DC.
Wir haben ein dynamisches Musiksignal mit mindestens 6dB Crest, als auch belasten frequenzabhängig.
An die volle DC Last (Wie man z.B. auch ein LPAD berechnet) kommen wir maximal, wenn die Endstufe sich im Dauerclip befindet, samt konstantem Signal.

Falls doch voll belastet wird, gibt's keine Probleme sofern FR-4 Material genutzt wird, da dieses erst Schäden ab 350°C nimmt.
Elkos sollten dann gut 10mm entfernt bleiben, Folie (MKT/MKP) und Spulen können auch näher dran, ich würde jetzt mal schätzen 5mm.
Mit FR2 und Holz fällt das Ganze sehr knapp aus sofern ein R voll belastet wird.

Kabelbinder aus Polyamid halten ganz grob 140°C mit voller Festigkeit aus, darüber dann je nachdem wie fest sie angezogen wurden,
die reine Schmelztemperatur liegt bei grob 220°C.
Diese sind also eigentlich das schwächste Glied in der Kette wenn man R damit befestigt, egal welches Platinenmaterial man verwendet.
Spulenkörper aus ABS (wie bei LU von IT) haben eine Schmelztemperatur von rund 105°C, somit schmilzt der Träger lang bevor der Draht Schaden nimmt
(Aber is ja egal, wenn geschmolzen und der Träger verformt nützt der Draht ja eh nix mehr...)

Meine Empfehlung falls man den Spannungsteiler nur mit einfachem Rechner statt genauer Simulation auslegt:
Die Belastung von RP kann man halbieren, von RS 4teln, damit sollte man sich noch im gelben Bereich befinden,
legt man für Überlast aus, also Fehlbetrieb ohne Limiter durch DAU, nimmt man genau die Werte des LAD-Rechners. 8-)


Schlussbemerkung:
Von Hartpapierplatinen, wie FR-1 oder FR-2 möchte ich euch für den Einsatz in PA-Lautsprechern abraten.
Hauptgrund ist die Stabilität der Platinen, denn bei PA muss es roadtauglich sein, ansonsten kann beim Transport gerne sowas passieren:

FR2_Defekt.jpg



Power Kompression durch Frequenzweichen
Das Thema kam auch kurz auf, somit mal flott drüber gerechnet.

Die VC eines Lautsprechers wird weitaus heißer als eine Spule oder ein R auf der Weiche am Limit.

Nehmen wir eine typische Spule aus dem TP in Reihe zum Chassis, sagen wir ne LU55 1,8mH mit 0,79 Ohm. bei 20°C.
Da das ABS bei 105° anfängt zu schmelzen, ist unser Betrieb über den Daumen bis sagen wir 80°C sinnvoll,
also einer Temperaturerhöhung von 60°C.
Der Wickel ist aus Kupfer mit mit einem Koeffizienten von 0,0039.
nun rechnen wir mit einer Erhöhung um 60°C und kommen auf das Ergebnis von 0,975 Ohm

Heißt wir haben eine Erhöhung von 0,185 Ohm.
Bei 500W fallen an der Spule also 11,5W zusätzlich ab.

Rechnen wir das auf den SPL um, somit entspricht das circa 0,1dB.

Bei solchen Kisten nutzen wir aber keine 1mm LU55, sondern eher kleine Kernspulen wie HQ40,
diese haben nur 0,26 Ohm (oder DR56 mit 0,14 Ohm).
Machen wir die Rechnung ein weites mal, kommen wir auf
eine Erhöhung von 0,01423656 Ohm der HQ40 bei 80°C. In SPL also ein Hauch von Nichts. (0,87W = 0,008dB)

Und ich persönlich finde, eine Spule mit 80°C ist schon zu warm.


Kondensatoren gibt mit positivem und negativem Temperaturkoeffizienten Tc, aber es gibt auch welche ohne diesen,
diese ändern ihre Kapazität somit nicht (NPO) innerhalb ihrer Arbeitstemperatur T.
Elkos z.B. verringern ihre Kapazität mit steigender Temperatur.
Im normalen Arbeitsbereich, also die Datenblattangabe der Temperatur, verändert sich der Wert (so gut wie) nicht.





Ich hoffe ich konnte damit einigen Einsteigern (und vielleicht auch Fortgeschrittenen) eine kleine Hilfe bieten.
Feedback, Kritik und weitere Ideen sind hier gerne willkommen.
Tauscht euch hier auch gerne aus und teilt eure Erfahrungen.


Changelog:
17.12.2020 - Punkt "Radiale Widerstände" leicht abgeändert und korrigiert.



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